Interview mit Monika Szelag: Psychische Gesundheit, unser Gesundheitssystem

Interview mit Monika Szelag – My Free Mind Blog

Doro: Hallo liebe Moni und herzlichen Dank, dass du dir heute die Zeit für uns nimmst! Ich darf dich zunächst vorstellen: Du bist Psychologin und Public Health Studentin, lebst in Wien und hast Anfang 2015 den Blog My Free Mind gegründet. Dort schreibst du über ganzheitliche Psychologie und einen gesunden Lebensstil. Kannst du nochmal mehr über deinen beruflichen Hintergrund erzählen?

Monika Szelag, My Free Mind Blog

Moni: Liebe Doro, vielen Dank für die Einladung zum Interview. In meinem beruflichen Hintergrund haben sich einige Stationen angesammelt. Zu Beginn habe ich ein Jahr lang Psychologie sowie Publizistik und Kommunikationswissenschaft zeitgleich an der Uni Wien studiert – beide Studienrichtungen verkörpern eine Leidenschaft von mir: Die Liebe am Schreiben und das Interesse an der menschlichen Psyche. Schlussendlich habe ich mich für die Psychologie entschieden und das Publizistikstudium abgebrochen. Neben dem Psychologiestudium habe ich auch das psychotherapeutische Propädeutikum abgeschlossen, das ist der erste Teil der Psychotherapieausbildung in Österreich. Über viele Umwege, die ich auch in diesem Artikel beschrieben habe, bin ich nun bei einem Zweitstudium angekommen und zwar mache ich gerade meinen Master in der Studienrichtung Public Health an der Medizinischen Universität in Wien.

Außerdem arbeite ich bereits seit zehn Jahren neben dem Studieren: Zu Beginn als medizinische Schreibkraft und Unterstützung in einer psychiatrischen Praxis und nun im Bereich Online Marketing, in der wissenschaftlichen Forschung und als Übersetzerin. Ich durfte auch zahlreiche spannende Praktika im Gesundheitswesen absolvieren, in denen ich viel gelernt habe.

Doro: Was ist Public Health für eine Berufsrichtung?

Moni: Public Health konzentriert sich auf die Prävention (Vorbeugung) von Krankheiten und Förderung der Gesundheit bezogen auf die Bevölkerung. Im Unterschied zur Psychotherapie konzentriert man sich nicht auf individuelle Einzelpersonen, sondern auf die ganze Menschheit und überlegt, welche Konzepte man entwerfen kann oder was es zu erforschen gibt, damit wir alle gesünder leben können beziehungsweise in Zukunft nicht krank werden.

Doro: Was hat dich dazu bewegt, Psychologie zu studieren?

Moni: Ich habe mich schon immer sehr stark für Menschen und deren Gefühle interessiert. Ich habe ein starkes Einfühlungsvermögen und wollte stets wissen, was hinter der Maske eines Menschen steckt. Ich konnte bereits früh spüren, was ein Mensch ausstrahlt – und nicht nur hören, was er sagt. Daran, dass ich Psychologie studieren will, habe ich nie gezweifelt. Auch in meiner Freizeit lese ich viel über gesundheitliche Themen und kann gar nicht aufhören, mich weiterzubilden. Ich schätze, so fühlt sich eine Berufung an.

Doro: Warst du zufrieden mit eurer Ausbildung oder hat sich da auch dieses Problem gezeigt wie im medizinischen Bereich, mit dem du ja auch in Berührung kommst, dass der Mensch nicht ganzheitlich betrachtet wird?

Moni: Im Großen und Ganzen war ich mit dem Studium zufrieden, die Themen waren jedoch sehr breit. Die Klinische Psychologie war nur ein Teilbereich, ich habe vieles über Arbeitspsychologie, Diagnostik, Statistik und Forschungsmethoden gelernt. Das Problem der fehlenden Ganzheitlichkeit war für mich nicht so stark spürbar, wie in der Medizin, wobei einige Themen, wie Ernährungspsychologie oder Meditation kaum gelehrt wurden und doch so entscheidend sind.

Doro: Was sind deines Erachtens nach die größten Probleme auf dem Gebiet der Psychologie und Psychiatrie? Und in dem medizinischen System?

Moni: Da fallen mir leider viele ein. Ich habe das Gefühl, viele Probleme entstehen aus einer Kettenreaktion heraus. An einigen Stellen fehlen finanzielle Mittel, als Beispiel fällt mir die Psychotherapie auf Krankenschein in Österreich ein. Durch zu knappe Ressourcen haben Ärzte oft nicht so viel Zeit, wie sie bräuchten, was wiederum dazu führt, dass wichtige Informationen zwischen Arzt und Patient verloren gehen. Ein weiteres Problem ist, dass sehr wenig Geld in die Aufrechterhaltung der Gesundheit fließt – viel mehr in die Behandlung. Außerdem geben viele Patienten die Verantwortung für ihre Gesundheit an den Arzt ab und werden zu passiven Konsumenten, dabei könnte sie selbst viel dafür tun, dass es ihnen besser geht, ganz ohne Medikamente. Natürlich kann man das nicht verallgemeinern.

Doro: Wir sind ja beide ein großer Fan der amerikanischen Psychiaterin Dr. Kelly Brogan. Kannst du kurz ihr Konzept vorstellen?

Moni: Das stimmt, Dr. Brogan ist eine der Ärztinnen, die ganzheitlich arbeiten und sich vor allem mit der Vorbeugung von Krankheiten beschäftigen. Sie ist Psychiaterin in New York und setzt an einer Stelle an, die von vielen Patienten dringend gefordert wird: Sie begleitet ihre Patienten beim sicheren Absetzen von Psychopharmaka jeglicher Art. Und noch interessanter: Als Psychiaterin behandelt sie mit Lebensstiländerungen, nicht mit Medikamenten. Das ist im Bereich der Psychiatrie ein komplett neuer Ansatz. Hier bekommst du ihr Buch auf deutsch.

Foto by Monika Szelag, My Free Mind Blog

Doro: Wessen Arbeit hat dich ansonsten noch beeinflusst?

Moni: Da gibt es so viele Personen – ich sehe mein Wissen als ein Puzzle, jedes Teilchen davon besteht aus Erfahrungen oder aus einzelnen Personen, die körperliche und psychische Gesundheit als ein Ganzes sehen und versuchen, neue Lösungen anzubieten. Die kritische Medizinplattform Mad in America, genauso wie Einblicke in die evidenzbasierte Medizin auf Medizin Transparent oder die Coachingansätze von Laura Seiler.

Doro: Warum sind Antidepressiva kritisch zu betrachten?

Moni: Kurz gesagt: Weil sie kein Allheilmittel sind. Es ist leider nicht so, dass sie Probleme lösen könnten, sie dämpfen nur Symptome, können aber niemals an der Ursache ansetzen. Es können Neben- oder Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten auftreten. Und es gibt bei einigen Personen massive Schwierigkeiten beim späteren Ausschleichen beziehungsweise Absetzen der Tabletten.

Doro: Weiß man denn wirklich schon, was da im Kopf vor sich geht?

Moni: In dem Buch Anatomy of an Epidemic wird sehr aufschlussreich beschrieben, dass man nach wie vor nicht zur Gänze weiß, was da im Kopf passiert. In diesem Zusammenhang wird oft das Serotonin genannt, doch es ist nur ein Neurotransmitter von vielen, die alle miteinander zusammenhängen.

Doro: Diese Denkweise, die Körper und Psyche trennt, und dann wieder irgendwie doch nicht, weil man ja über Biochemie versucht, die „Seele“ oder den „Geist“ zu manipulieren, ist ja schon problematisch. Man läuft ja immer irgendwie in Gefahr, von einer Seite vom Pferd zu fallen. Entweder man übersieht die Auswirkungen des Körpers, zB. der Ernährung oder Toxine auf unser Wohlbefinden oder aber man läuft in Gefahr, die seelischen Faktoren nicht ernst genug zu nehmen und uns nur noch als eine Ansammlung von Biochemie anzusehen. Ist das denn wirklich trennbar, kannst du das mal für uns in Kontext setzen aus deiner bisherigen Erfahrung?

Moni: Ich denke, dass der Körper Einfluss auf die Seele nimmt – in einem kranken Körper fällt es schwer, sich entspannt, ruhig und glücklich zu fühlen. Genauso denke ich aber, dass eine verletzte Seele körperliche Symptome hervorrufen kann, vor allem, wenn wir versuchen, schmerzhafte Emotionen zu verdrängen oder zu betäuben. Hier sind die Grenzen sicherlich sehr dünn und vielleicht ist es nicht immer so wichtig, was zuerst da war, so lange man sowohl beim Körper, als auch bei der Seele ansetzt, um sich wieder besser zu fühlen. Wenn wir uns um uns selbst kümmern, werden sowohl die Symptome, als auch die Gefühle besser werden.

Doro: Was sind die typischen Nebenwirkungen von Antidepressiva?

Moni: Das lässt sich nicht allgemein beantworten, ich bin auch keine Ärztin. Betroffene berichten am häufigsten von sexuellen Problemen, einer Gewichtszunahme oder einer emotionalen „Taubheit“. Die englischsprachige Plattform Rxisc sammelt Listen von Betroffenen zu allen Medikamenten, dort schneiden Antidepressiva nicht gut ab. Wobei ich erwähnen muss, dass es sicherlich genügend Personen gibt, die keine Nebenwirkungen aufweisen.

Doro: Warum verhindern Antidepressiva das wirkliche Gesundwerden?

Moni: Das Thema der Antidepressiva ist sehr heikel, ich würde hier niemals von „immer“ oder „nie“ sprechen, deswegen könnte ich nicht pauschal sagen, dass Antidepressiva das Gesundwerden verhindern. Was man jedoch sagen kann ist: Kein Medikament kann an der Ursache des Problems ansetzen. Ich denke es ist auch eine Frage der Definition: Ist eine Person, die Antidepressiva nimmt, aber keine Beschwerden oder Nebenwirkungen hat gesund oder würde man sie erst als gesund betrachten, wenn sie keine Medikamente einnehmen müsste?

Doro: Warum ist das Absetzen so schwierig?

Moni: Das Absetzen von Psychopharmaka ist ein spannendes Thema, das zukünftig bestimmt stärker erforscht werden wird. Einige Personen haben kein Problem damit, andere müssen eine sehr intensive Zeit durchstehen und wieder andere sind monatelang krank und haben sehr zu kämpfen. Meiner Meinung nach sind Antidepressiva starke Medikamente, die einen Einfluss auf den gesamten Organismus haben. Wenn man sie jahrelang nimmt, muss der Körper erst einiges umstellen, wenn man sie nicht mehr einnimmt.

Doro: Was kann beim Absetzen helfen, wie sollte man vorgehen?

Moni: Man sollte auf jeden Fall zusammen mit seinem Arzt absetzen, sich gegebenenfalls viel Zeit dabei lassen und kleine Schritte machen. Ein absolutes No Go wäre das Absetzen von Heute auf Morgen und noch dazu alleine. Ich habe auf meinem Blog außerdem eine Liste mit Methoden angefertigt, was man in dieser Zeit unterstützend machen kann.

Doro: Du bist ebenso wie ich der Ansicht, dass eine Erkrankung die Stimme unserer Seele oder eine Botschaft unseres Lebens sein kann, die uns auffordert, unseren Weg zu überdenken. Kannst du darüber etwas erzählen?

Nichts ist so gesundheitsschädlich wie ein ungelebtes Leben.

Moni: Ja, da hast du Recht. In meinem Public Health Studium gab es letztes Jahr ein Seminar zur psychischen Gesundheit und da ist folgendes Zitat gefallen: „Nichts ist so gesundheitsschädlich, wie ein ungelebtes Leben.“ Das fand ich sehr aussagekräftig. Jeder von uns hat Emotionen, Ziele, Träume und Wünsche – man sollte auf Dauer nicht „gegen sich selbst leben“. Wenn man sich zum Leben zwingen muss, sei es zu einer Arbeit, die einem nicht entspricht oder zu einem Partner, bei dem man keine Sicherheit spürt oder zu sozialen Verpflichtungen, zu denen man sich gezwungen fühlt, übergeht man sich selber. Unsere Seele hat hier eine natürliche Schutzfunktion und versucht in solchen Momenten Kontakt über den Körper aufzunehmen: Mit Übelkeit, Schmerzen, Angst oder Erschöpfung. Es lohnt sich, hinzuhören beziehungsweise seine Symptome auch in einem solchen Licht zu betrachten.

Doro: Warum erkranken so viele Menschen heutzutage an Depressionen denen sogar nachgesagt wird, dass sie doch ein gutes Leben hätten?

Moni: Ein gutes Leben bedeutet für jeden etwas anderes. Nicht jeder wünscht sich viel Geld und eine angesehene Karriere. Nicht jeder ist ein Familienmensch und wünscht sich Kinder. Nicht jeder ist mit der Person zusammen, die er liebt, denn die Liebe folgt keiner Logik. Nicht jeder ist gesund, auch wenn er so aussieht. Am wichtigsten finde ich aber, dass die meisten Menschen sich nicht verletzlich zeigen. Gerade in Zeiten von Instagram und Co wirkt das Leben vieler Menschen von Außen betrachtet perfekt, im Inneren sieht es aber ganz anders aus. Ich habe mir kürzlich die Netflix Dokumentation über Lady Gaga angesehen: Sie hat viele Fans, viel Geld, singt aus Leidenschaft, doch hinter den Kulissen sieht man Herzschmerz, Einsamkeit und chronische Schmerzen.

Doro: Warum erkranken die einen Menschen mit schweren Lebenserfahrungen an einer Depression, oder auch an Angstörungen, und andere in der selben Situation nicht?

Moni: Diese Fragestellung war Thema meiner Diplomarbeit im Psychologiestudium. Es ging dabei um die Erforschung der Resilienz, der psychischen Widerstandskraft. Erforscht habe ich einen starken Zusammenhang zwischen dieser Widerstandskraft, also dem Gesundbleiben trotz Krisen und den Faktoren Selbstwirksamkeit (das ist der Glaube daran, mein Leben aus eigener Kraft immer wieder ändern und beeinflussen zu können), der sozialen Unterstützung, dem Optimismus und dem Glauben.

Doro: Was sind nach deinen bisherigen Erfahrungen die wichtigsten Faktoren, wenn es um seelische- /psychische- / Hirngesundheit geht?

Moni: Ein gesunder Lebensstil mit einer Balance aus Herausforderung und Entspannung. Die Arbeit an den eigenen Gedanken und das Reflektieren der eigenen Ziele. Mut, sich verletzlich und echt zu zeigen. Eine gesunde Ernährung und genug Wasser zu trinken. Einer sozialen Gruppe anzugehören, bei der man Rückhalt findet. Sich regelmäßig zu bewegen und Zeit in der Natur zu verbringen. Beim Arzt zu überprüfen, ob körperlich alle Werte in Ordnung sind (Schilddrüse, Nährstoffmängel, usw.)

Doro: Du bist ja selbst auch von Nahrungsmittelintoleranzen betroffen und hast selbst einiges an Ernährungsformen durchprobiert. Magst du kurz beschreiben, was deine gesundheitlichen Probleme waren, was du probiert hast, und was dann am meisten geholfen hat?

Moni: Ich hatte von klein auf einige Probleme, die man nicht gleich auf Nahrungsmittel beziehen würde: Starke Übelkeit bei Autofahrten, Migräne beim Fliegen oder in schlecht belüfteten Räumen. Außerdem oft Bauchschmerzen und Verdauungsbeschwerden sowie chronischen Eisenmangel. Erst nach verschiedenen Untersuchungen wurde festgestellt, dass ich eine Histaminintoleranz habe. Seitdem ich mich histaminarm ernähre und darauf achte, geht es mir gut und ich bin symptomfrei (erfahre hier mehr über mögliche Symptome eine Histaminintoleranz!).

Doro: Wie sind deine Nahrungsmittelunverträglichkeiten ermittelt worden?

Moni: Mit Hilfe einer ganzheitlichen Ärztin – wir haben Laboruntersuchungen und Allergietests gemacht und ich habe ein Ernährungstagebuch geschrieben und eine Eliminationsdiät gemacht.

Doro: Was wäre dein Wunsch für einen Wandel des gesellschaftlichen Umgangs mit psychischen Erkrankungen?

Moni: Mehr Akzeptanz und Einfühlungsvermögen. Mehr Zeit zum Gesundwerden. Und auch die Verbreitung von Informationen, wie viele verschiedene Ansätze man verfolgen kann, um gesund zu werden.

Doro: Was sind deine eigenen Zukunftspläne?

Moni: Eine gute Frage 😊 Meinen Blog habe ich gerade nach einer Sommerpause wieder geöffnet und werde nun wieder einen neuen Artikel pro Woche veröffentlichen. Im Sommer 2018 schließe ich mein Public Health Studium ab und werde nach einem passenden Job im Gesundheitswesen suchen. Im Hinterkopf habe ich auch eine freiberufliche Tätigkeit als Bloggerin, Texterin oder Gesundheitsberaterin im Kopf – mal sehen, was sich ergeben wird.

Doro: Nun habe ich noch eine Abschlussfrage für dich, Moni: Was bedeutet für dich persönlich „Gesundwerden“?

Moni: Keine körperlichen Beschwerden zu haben, die mich einschränken. Motiviert und vital aufzuwachen und meine Träume umsetzen zu können. Und sich ein leichtes und freies Herz zu bewahren.

Doro: Moni, herzlichen Dank für den wundervollen Austausch und das interessante Gespräch!

Monika Szelag

Bio: Moni ist Psychologin, Public Health Studentin, lebt in Wien und gründete Anfang 2015 den Blog My Free Mind. Dort schreibt sie über ganzheitliche Psychologie und einen gesunden Lebensstil.

All along the history of medicine, the really great physicians were peculiarly free from the bondage of drugs. ~Sir William Osler

Du hast bereits Therapien probiert, die auf der kognitiven und emotionalen Ebene arbeiten, dir fällt es aber schwer, sie durchzuziehen, oder du merkst gewisse Erfolge, fällst dann aber wieder in deine alten Muster zurück? Vielleicht müssen deine subkortikalen Strukturen (das Fundament) erst neuroplastisch bearbeitet werden:

Soundtherapie

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