Während ich diesen Artikel schreibe, sitze ich unterhalb der Glienicker Brücke in Potsdam. Soeben komme ich von meinem zweiten Besuch im ALCAT-Labor, wo ich diesen Morgen zu einem glutenfreien und veganen Bio-Frühstück bei Frau Koch eingeladen worden bin. Es ist immer etwas Besonderes, eine Mahlzeit mit jemandem zu teilen, der selbst das traumatische Erlebnis hat durchmachen müssen, dass einen das Immunsystem im Stich lässt (in unserem Interview schildert Frau Koch ihre Zeit mit der schweren Neurodermitis). In unseren Gesprächen merken wir immer wieder, wie wenig wir uns Menschen doch auf das rein Körperliche reduzieren können, dass wir die Psyche, die Seele nicht ausklammern können, wenn es darum geht, das Immunsystem zu verstehen und wie wir einem Menschen helfen können, gesund zu werden. Nach einer interessanten Laborführung verabschiede ich mich, denn Frau Koch muss sich auf eine Messe in München vorbereiten. Sie empfiehlt mir aber, nochmal einen Spaziergang entlang der Havel bei der Glienicker Brücke zu unternehmen und ich mache mich auf den Weg. Als ich mit meinem Auto die Stadt verlasse und es um mich herum grün wird, merke ich, wie eine große Anspannung von mir abfällt. Auch wenn es kein Vergleich mehr zu meiner Überängstlichkeit früher ist, so sind Städtereisen immer noch sehr anstrengend für mich und einfach nichts, was ich gerne und oft mache. Aber hier am Wasser und Waldrand gefällt es mir ausgesprochen gut. Ich lächle. Erstaunlich, wie gut Frau Koch erahnt hat mit ihrer Empfehlung, was mir jetzt gut tun würde!
Es zieht mich hinunter zum Wasser der Havel, die Ruhe und das sanfte Spiel der Wellen haben eine beruhigende Wirkung auf meinen Geist. Ich werde nachdenklich. Eigentlich wissen wir Menschen doch im Grunde ganz genau, was wir brauchen, damit es uns gut geht. Um gesund zu bleiben. Mein Geist will Ruhe, Frieden, einen sanften Rhythmus. Mein Bauch und meine Seele wollen Dinge, die leicht verdaulich sind, die rein, echt und ehrlich sind, mich nicht überlasten, beschweren und vergiften. Meine Haut möchte Schutz und Sicherheit, aufrichtige Liebe und fürsorgliche Nährung.
Doch warum zieht es uns immer von unserer Mitte weg, von unseren Ruhepolen? Warum vergessen wir das, was uns wieder zu uns selbst zurückbringt, sogar vollkommen? Warum habe ich diesen langen, anstrengenden Weg quer durch Deutschland auf mich genommen, nur, um meine Neugier zu befriedigen?
Ich wollte Antworten. Ich möchte immer noch verstehen, was damals mit mir passiert ist, warum ich die meiste Zeit meines Lebens krank sein musste, und warum es auch heute manchmal noch schwer sein kann. Und wie ich anderen wirklich helfen kann, ihnen aus so einer Situation herauszuhelfen und ihnen einen Ausweg bieten kann.
Wir Menschen sind wohl einfach so gestrickt, sind nicht nur für die goldene Mitte, den Frieden und die Vollkommenheit gemacht und das kann auch nicht der Inhalt dieses Lebens sein. Manchmal gilt es, neues Land zu erobern, verborgene Schätze zu bergen, aber dafür tief in feindliches, wildes Land einzudringen und uns an unsere Grenzen zu bringen. Das verstehe ich jetzt. Aber erst dadurch, dass ich einen Großteil meiner Gesundheit zurückerlangt habe, war ich wirklich im Stande, mutig voranzuschreiten, Großes zu wagen. Nicht mehr im reinen Überlebensmodus zu verharren, Tag für Tag.
Vielleicht liegt die Lösung dazwischen. Auch Helden, die hinaus gezogen sind in große Schlachten, hatten etwas oder jemanden, zu dem sie zurückkehren wollten, den ursprünglichen Grund, warum sie überhaupt aufgebrochen sind. Etwas, wofür sie kämpfen. Und in jedem Abenteuer, und natürlich am Ende, kehrt dann der Friede wieder ein und es ist Zeit für Erholung, Regeneration und ein In-Sich-Kehren, um über das Erlebte zu meditieren, seine Wunden zu versorgen.
Vielleicht liegt hier der Trick? Im Alltagsstress eine neue Art des Rhythmus finden. Kleine Siege und Erfolge mit seinen Lieben tagtäglich zu würdigen und zu zelebrieren, und zu erkennen, wann ein Abschnitt vorbei ist, wann man sich einfach mal zurückziehen und wieder zu sich kommen soll und darf. Und vor allem nicht zu vergessen, was es für einen selbst persönlich ist, das einen wieder erdet und wieder auftankt.
Und was ist der große Schatz, den wir erbeuten können? Für mich ist es, immer mehr zu mir selbst zu finden und zu werden, immer mehr zu verstehen, wer ich wirklich bin und was meine Wahrheit ist. Oft sind es Grenzsituationen, die uns das erst lehren.
Nach einer erholsamen Stunde mache ich mich wieder auf den Weg zu meinem Autochen, dann stürze ich mich noch ein letztes Mal mitten ins Getümmel Berlins, denn ich will, wenn ich schonmal hier bin, das ganz neu eröffnete, komplett glutenfreie Allergikerrestaurant GLUTANADA besuchen zum Mittagessen. Dort genieße ich noch einmal eine freundliche Umsorgung, die Gesellschaft lieber Menschen und als Proviant für auf die Fahrt gibts einen saftigen, weizenfreien Schokobrownie und dann gehts auch schon wieder zurück auf die lange Fahrt zurück nach Westdeutschland, mit vielen neuen Eindrücken und Erkenntnissen.