Die Götzen der Heilung

Seit langer Zeit schon mache ich mir Gedanken darüber, wo die Grenze zu setzen ist zwischen Esotherik und Medizin. Tatsächlich eröffnen sich einem (vor allem durch die Quantenphysik) immer mehr Erklärungen, warum Dinge wie Homöopathie und Bioresonanz tatsächlich funktionieren und Sinn machen können, sogar wieso Edelsteine heilende Wirkung haben könnten, etc.

Als jemand, dem Qigong, Yoga und Arbeit an meinen Faszien nochmal einen Quantensprung auf dem Weg des Gesundwerdens verschafft hat und der mit der wissenschaftlichen Literatur vertraut ist, habe ich ohnehin überhaupt kein Problem damit, Praktiken wie Akupunktur und Kinesiologie anzunehmen.

Als selbst jemand, der von einer gewissen Elektrohypersensitivität betroffen ist (während mein eigener Vater immer über die Anti-Funkmastenfanatiker klagte, mit denen er sich im Amt rumschlagen musste), und durch mein neurobiologisches Wissen habe ich auch was diesen Punkt anbelangt mittlerweile meine solide Meinung.

Anderen Dingen musste und muss ich mich extrem langsam annähern und es für mich von allen Seiten (und über Jahre hinweg) begutachten, beschnuppern, belesen, mal anstubsen… was mit meinem persönlichen Hintergrund, bestehend aus einer seltsamen Mischung aus sehr christlich und wissenschaftlich zusammenhängt (doch Achtung, auch die Studierten besitzen menschliche Gehirne, die auf Energieoptimierung bedacht sind und deswegen unflexibel in ihrem Weltbild sein können, die der Gefahr eines Echo-Chambers, Confirmation Bias und Apophänie unterliegen, selbst und vielleicht gerade die, die sehr aktiv an einer bestimmten Sache forschen, bei einer bestimmten Sache angebissen haben, wie uns die Geschichten der Verteufelung von Fett und Salz zeigen. Doch die schlimmsten Diskussionen erlebe ich mit denen, die sich für gebildet halten und mit Halbwissen daherkommen).

Am Samstag auf dem Symposium der Gesellschaft für evolutionäre Medizin und Gesundheit traf ich auf der Messe neben tollen Keto-Angeboten schon zum dritten Mal auf diesen Stand mit den Biophotonenpflastern und die Neugier siegte. Der Muskelwiderstandstest bezüglich meiner Polung war erstaunlich deutlich zu merken (bei einer Vorführung, die ich mal auf einer Bühne gesehen habe, wo sie der Testperson vorher mit elektrischem Kram vorm Gesicht rumgefuchtelt haben, hielt ich es noch für völligen Bullshit und einfach psychologisch, weil sie abgelenkt war), auf mein Handy reagierte ich aber nicht mehr so eindeutig (meine eigene limbische Neukonditionierung scheint zu fruchten). Als ich dann auf mein Antistress-Pflaster („Sie werden sich danach fühlen, wie nach einem Urlaub in einer Berghütte“) mit nervösen Zuckungen am ganzen Körper reagierte (was zu einem guten Gespräch über eine stressreiche Phase dieses Jahr sowie über ererbtes Trauma führte) reichte es mir.

Zunächst einmal kaufte ich das Pflaster trotzdem. Wie ich dann so alleine saß, das Pflaster auf eine weniger intensive Weise angebracht, das entsprechende Körperteil immer noch durchzogen von nervösen Wellen und leichten Zuckungen, dachte ich frustriert nach. Sollten das wirklich noch die Entladungen von meinem Zellstress sein? Oder konnte ich es mir einfach nicht gönnen, mir diese Kleinigkeit hier zu erlauben, mir ein bisschen Wohltat zu erkaufen, ohne sie komplett verstanden haben zu müssen? War es mein eigener Körper, der sich in Angst dagegen stemmte, was zu einer akuten sympathischen Aktivierung führte? Ich blickte tiefer. Ja, da war Verurteilung in mir. Ich kam nicht darauf klar, dass man sich für ein paar Euro tatsächlich ein bisschen Wohltat erkaufen konnte. Nein, den Stressabbau muss man sich hart erarbeiten, durch Arbeit am Geist, durch Atemarbeit, Yoga und Lebensstiloptimierung…

Was war das für eine Stimme in mir, die verlangte, dass ich nur durch reine Disziplin an mein Ziel komme? Hatte ich nicht erst kürzlich so viel Verständnis mit zwei Klientinnen gezeigt, und sie darin ermutigt, das Absetzen ihrer Medikamente zu verlangsamen, da nicht überehrgeizig sondern liebevoller mit sich zu sein?

Und ich ließ los.

Das schreibe ich jetzt so einfach, aber auch das ist ein Pfad, an dem ich schon seit Jahren arbeite und zimmere und auch heute erfordert es viel Aufmerksamkeit meinerseits, um mich am Riemen zu reißen und zu bemerken, wenn ich lieblos mit mir umgehe. Die alten Stimmen sind tief eingebrannt.

Ein innerer Dialog folgte und… wie soll ich sagen. An der Situation änderte sich nichts. Am Pflaster änderte sich nichts. Mein Körper blieb auch der Gleiche. Und doch änderte sich alles, als ich meine eigene Reaktion veränderte.

Wir müssen nicht immer machen und tun und rackern. In dieser maskulin gepolten Gesellschaft wird uns das immer schön eingetrichtert, dass wir uns alles erarbeiten müssen, sonst haben wir es nicht verdient. Doch da ist auch diese mütterliche Kraft, die einem jedem erlaubt, weich zu werden, sich zu öffnen. Zu empfangen. Nichts weiter. Vollkommen passiv. Das Schwerste von allem. Ja, es kann Angst machen. Große Angst.

Ich merkte, dass es vielleicht nicht gerade die ideale Umgebung war – fremd, laut, viele Menschen und Eindrücke auf diesem Symposium – um so ein Produkt zu testen, Entspannung zu empfangen, um weich zu werden und vollkommen loszulassen, um diese Lektion zu lernen. Aber fällt es vielen von uns nicht allgemein schwer, sich hinzugeben, das Hamsterrad zu verlassen, und sei es nur das unserer eigenen Gedanken? Viele von uns waren sehr gefangen in schweren Lebensphasen und sind nun froh, nicht mehr festgehalten zu sein, hypermobil zu sein, sei es in der Karriere, in eigenen kleinen Projekten, sei es selbst der Weg des Gesundwerdens, der Selbstpflege. Doch das Runterkommen, das weich werden, sich fallen lassen hat uns nie jemand beigebracht… Jeder muss einmal ausruhen – kein Wunder, dass unsere Körper schlapp machen.

Und das ist es, was ich endlich verstand: Die Dinge, die Methoden sind vollkommen austauschbar (ich bitte deswegen auch, von Fragen unter diesem Artikel bzgl. meiner Empfehlungen abzusehen, ich werde sie nicht beantworten. Versuche zu verstehen, worum es hier gerade wirklich geht). Nur Form, nur Materie. Niemals absolut. Seien es die Yogastunden, die Himalayasalzlampe, die Globulis, das vitalisierte Wasser, die Entgiftungskuren, die Spruchkärtchen, die Rituale, die Nadeln, aber auch die Supplemente, die Cremes, die Therapieformen, die Mikronährstoffanalysen, die Gentests, die Ernährungsform, die psychologischen Gespräche, die Messgeräte, die wissenschaftlichen Studien, die Pillen, selbst Chemotherapie. All diese Dinge können Zugang zu mehr Selbstverständnis sein, eine Einladung zu mehr Selbstpflege, können einem die Angst nehmen, können wichtige Begleiter auf deinem Heilungsweg sein, dir Halt geben, dich zum Handeln und zur Änderung deines Weges beitragen, dich stärken, dir mit aufrichtiger Liebe und Fürsorge herangetragen werden.

Doch all diese Dinge können genauso gut Angst machen, können einen von sich selbst entfernen, dich in die Abhängigkeit bringen, dich klein halten, dich mit magischem Denken passiv halten (selbst die Gene als allumfassende Determinante unseres Schicksals anzusehen, zähle ich dazu), dir nur das Geld aus der Tasche ziehen, unabsichtlich zum Alibi werden, dass man ja gut für sich sorgt und alles tut und dabei die blinden Flecken für das, was gerade wirklich dran wäre, verstärken, die Stimmen, die einen zur Umkehr oder zum Öffnen einer neuen Tür ermahnen, mundtot machen. Oft werden diese Dinge dann sogar missionarisch eingesetzt und man stößt seinen Lieben vor den Kopf (hier auch Asche auf mein eigenes Haupt).

Und auch hier möchte ich nicht in die Gefahr laufen, einen neuen Leistungsdruck hervorzurufen, indem man um Gottes Willem bloß schnell all diese Dinge durchschauen und ausmerzen und seine Geisteshaltung tausendmal prüfen muss. Um es auf religiöse Weise auszudrücken: Diese Welt ist in der Sünde. Es gehört einfach zu unserem Weg, zu unserem Wachstum, dass wir auch mal Irrwege gehen, im Dunkeln tappen, dass wir auch mal auf die Nase fallen, wertvolles Geld, Zeit und Energie verschwenden und uns ärgern. Oder einfach mal für eine Phase nicht die Kraft haben, alles zu hinterfragen, zu optimieren und uns aus dem Mist rauszuschaufeln. Wir einfach mal eine Verschnaufpause brauchen, in der wir weiter schlafend bleiben dürfen.

Ich habe mich viel damit beschäftigt, was Religion aus neurobiologischer Sicht ist, wie religiöse Menschen denken, da ich meine eigene Konditionierung und Programmierung (ups ich meinte natürlich Erziehung) verstehen wollte (dass man es wissenschaftlich und auf der physikalischen Ebene erklären kann, ist kein Beweis für eine Nicht-Existenz, aber das ist ein Thema für sich, für das ich noch keine abschließenden Antworten habe. Und ja, ich bin mir dessen bewusst, dass auch die biologische Wissenschaft erstmal nur ein Modell ist, um die Welt greifbar zu machen). Ich lese aus religiösen Texten und –Aussagen immer wieder heraus, dass das für einen dämonisch ist, das fremdartig ist, das man schlicht und ergreifend nicht versteht, das einem Angst macht. Was für einen selbst Sünde ist. Jeder zieht selbst seine Grenze und auch die kann sich durch Erfahrungen verschieben. Licht (im Sinne von Erfahrung und Wissen) vertreibt die Dunkelheit (im Sinne von aus Unwissenheit hervorgerufener Angst und Ablehnung). Wenn der Gedanke an eine Therapieform in dir also eine negative Stressreaktion auslöst, dann ist es vielleicht einfach (zur Zeit) nicht das Richtige für dich. Und zwar nur für dich persönlich.

Wer weiß, ob wir uns am Ende nicht doch unsere Realität selbst gestalten durch unseren hoch entwickelten Geist (ich bin niemand, der sagt, du bist an deinem Unglück selber Schuld, wir sind ja auch Teil von den Realitäten anderer und da gibt es Dinge, die vererbt werden und sich überschneiden, aber ich kann versuchen, mein Glück in jedem kleinen Augenblick für mich zu finden). Wenn jemand sein limbisches System damit beruhigen (und damit Regeneration und Gesundheit in seinen gesamten Körper bringen kann), dass er sich seine Wohnung mit Edelsteinen schmückt und ihnen besondere Kräfte zuspricht, dann ist das völlig in Ordnung für mich. Wenn jemand eine bestimmte Therapieform braucht und sie ihn stabilisiert, und gewisse Lebensmittel nicht essen kann, dann hat auch das seine absolute Berechtigung. Vielleicht sind es gar nicht die Dinge an sich, die darüber entscheiden, ob sie für einen funktionieren, sondern die Konditionierung bzw. Flexibilität unseres eigenen Verstandes?; ob unsere Zellen diese Behandlung überhaupt empfangen können (nur auf unser OK hin entsprechende Rezeptoren ausbilden)?

Schaut man sich wissenschaftliche Studien an, so ist es üblich, dass der Placebo-Effekt um die 30% des Effektes ausmachen kann (das ist eine ganze Menge! Wir brauchen auch z.B. „nur“ etwa 30% unserer Kalorien aus Protein, aber ohne sie wären wir schnell tot). Der Placeboeffekt ist nicht gleich die Spinnerei des Patienten, sondern ein handfestes neuroplastisches Phänomen, das man gern in die Gleichung einbeziehen darf und muss! Ich stelle mal vorsichtig die Arbeitshypothese auf, dass wir zu einem Drittel unsere eigene Realität frei erschaffen. Dies ist der Grund für mich, warum ich persönlich nicht mehr auf die Ergebnisse irgendwelcher verwaschenen wissenschaftlichen Studien warten möchte, sondern mich am liebsten mit den Menschen direkt beschäftige, sie kennen lerne, an was sie glauben, was sie geprägt hat, was ihre persönlichen Erfahrungen und tiefsten Ängste sind.

Mein Abschlusswort an dich: Probiere aus. In deinem Tempo. Bleibe neugierig und wachsam zugleich. Lerne, nah zu dir selbst zu kommen, in dich hineinzuhorchen. Du wirst nicht alles mit deinem Kopf erklären können, denn er ist ein fehleranfälliges Messinstrument. Schau, was es mit dir macht. Gerade zu erkennen, wo die Dinge uns triggern, kann uns Zugang zu den wertvollsten Erkenntnissen über uns selbst schaffen. Handle aus Liebe zu dir selbst, nicht aus Angst vor einer Krankheit. Bleibe bei dir selbst, versuche nicht, andere zu überzeugen, du weißt nicht, wo sie sich gerade auf ihrer Reise befinden. Und am Ende bilde dir deine eigene Meinung, aber hänge kein Schloss davor und schmeiß den Schlüssel nicht weg. Gerade für uns Menschen mit anfälligen Immunbarrieren (Haut, Darm, Lunge, Blut-Hirnschranke…) ist es wichtig, hier eine gesunde Modulation zu erlernen, zu lernen, uns abgrenzen zu dürfen, ohne aber überabwehrend zu werden.

Prüfet alles, das Gute behaltet. ~1. Thessalonicher 5, 21

Die Landkarte ist nicht das Gebiet. ~1. Grundsatz aus dem neurolinguistischen Programmieren

Erst, wenn wir nicht mehr nur über unsere Erfolge an unseren Patienten reden, sondern gerade, wenn wir offen darlegen und miteinander teilen, wo wir gescheitert sind, können wir in der Wissenschaft wirklich darin weiterkommen, den Menschen zu helfen. ~PD Dr. Reinhart Sweeney, Chefarzt der „Strahlentherapie-Schweinfurt“, 1. Vorsitzender der Gesellschaft für evolutionäre Medizin und Ernährung


Weitere Leseempfehlungen:

https://www.theatlantic.com/magazine/archive/2010/11/lies-damned-lies-and-medical-science/308269/?utm_source=fbb

The Body Electric – Robert O. Becker

https://www.motherjones.com/politics/2013/09/new-study-politics-makes-you-innumerate/

Life on the Edge: The Coming of Age of Quantum Biology – Jim Al-Khalili and Johnjoe Macfadden

Norman Doidge:

The Brain that changes itself

The Brain´s way of healing

Warum wir die feminine Polarität im Ernährungsbereich wieder brauchen

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