Ihr Lieben, nicht zu glauben, schon heißt es Halbzeit für mich auf den Azoren. Nachher startet die Fähre für Patrick und mich weiter nach Faial, auf zu neuen Ufern. Die ersten fünf Tage auf Terceira waren wirklich klasse, Terceira hat mir gut gefallen. Angra do Heroísmo ist die bisher größte Stadt, die ich auf den Azoren erlebt habe, man kriegt genug geboten, aber trotzdem alles noch überschaubar und überall trifft man freundliche und offene Menschen. Der Tourismus ist zu dieser Zeit des Jahres noch sehr zurückhaltend, beim Tauchen waren wir die einzigen. Achja, Info für die Mädels: Man kann tatsächlich mit Menstruationstasse wunderbar tauchen! Und keine Angst vor Haien, selbst wenn sie unser Blut riechen, so sind wir für sie nicht appetitlich, weil unser Fleisch nicht das richtige Fettsäurenprofil für sie besitzt.
Da das Wetter so bombastisch war, gar kein Vergleich zu vor zwei Jahren, haben wir uns gleich voll in die Touristenaktivitäten gestürzt, auch Whalewatching und Schnorcheln mit Delfinen war dabei (klingt romantisch, aber man muss sich eher ein Schnell-ins-kalte-Wasser-geschmissen-Werden und dabei noch einen Blick auf die Delfine unter Wasser erhaschend vorstellen).
Am letzten Abend gabs für uns lecker Seafood – Essen im „Beira Mar“ („direkt am Meer“), wo das Seafood täglich direkt vom kleinen Hafen hereinkommt, also verhältnismäßig sicher vom Histamingehalt. Ich habe aber natürlich trotzdem meine Vorkehrungsmaßnahmen getroffen, dann aber nachts leider auf die für meine Verhältnisse schon zu scharfen Gewürze reagiert.
Der Plan war, dass ich mir die erste Woche komplett freinehme von meinen zwei Kleinunternehmen und dann ab der zweiten Woche wieder –wenn auch gemäßigter als daheim- durchstarte mit E-Mails, Schreiben und Skypeklienten.
Wenn du mir schon länger folgst, weißt du sicher, dass ich die Ansicht vertrete, dass Balance, die gesunde Mitte, ein natürlicher Rhythmus das ist, was uns nachhaltig gesund erhält, und deswegen erkunde ich, ob diese strikte Trennung zwischen „Arbeit“ und „Urlaub“ so sinnvoll ist und alternative Ansätze möglich sind. Zumindest, ob es für mich persönlich das Richtige ist. Schon zuhause merke ich, dass ich keine andere Wahl habe, und würde es gerade Selbstständigen ans Herz legen, als mir gezielt Ausgleichsmaßnahmen wie Reiten, Yoga, Gartenarbeit, Zeit mit Freunden und natürlich ausgiebige Mahlzeiten in meinen Terminkalender einzubauen, je mehr ich mein Arbeitspensum steigere. Ich habe am eigenen Leib erlebt, was Nebennierenerschöpfung, Burn Out und Depression bedeuten und erkenne mittlerweile früh die Warnzeichen meines Körpers, sodass es für mich keinen Sinn mehr macht, weiter in diesen alten Mustern zu bleiben, gerade jetzt, wo ich so viel Handwerkszeug an der Hand habe, um mich gut zu pflegen und natürlich schlichtweg viel mehr Kontrolle über meine Alltagsgestaltung habe.
Nun ja, auch ich lerne und übe noch. Am Ende wars dann doch wieder so, dass ich mir das Wegkommen für einen Monat ganz schön freikämpfen musste (doch hey, meine Zeitplanung wird besser und realistischer, success, progress!) und ich in meiner ersten Woche doch mehr mit Nachrichtenbeantworten beschäftigt war, als ich mir es gewünscht hätte. Ich begriff so richtig, wie ich mit einem Bein noch zuhause in meinem Büro stand und gar nicht richtig hier ankommen konnte, bzw. gewisse Probleme anscheinend in meinen Koffer gepackt und mitten im gemütlichen Wohnzimmer Patricks und meiner Airbnb Ferienwohnung ausgeladen hatte. That´s life, a never ending learning field.
Das Ankommen auf Graciosa war einfach erhebend. Auf der Fahrt sah ich eine Wasserschildkröte und in der Ferne Delfine springen, allerdings hatte ich zu proteinreich gegessen zuvor und musste mit Vitamin C Seekrankheits-Elend bekämpfen. Patrick ging es nicht besser. Dann aber die Insel am Horizont, wie ein Nach-Hause-Kommen. Der Leuchtturm, wie offene Arme die Bucht von Praia, der Hafen. Auch an der kleinen Vogelinsel kamen wir zum Greifen nah vorbei. Gemischte Gefühle tauchten in mir auf. Eher ablehnend. „Diesmal komme ich als freier Mensch hierher“, waren meine Gedanken. Ja, es hat mich so viel gesünder gemacht, nun beruflich ganz frei mein Leben gestalten zu können, nur noch mir selbst hörig sein zu müssen. Hier mitten im Leben in Graciosa möchte ich sein, auf der Hauptinsel, mit meinen Freunden, nicht mehr abgeschnitten auf dieser kleinen Insel mit einer Art zu arbeiten, die einfach nicht meiner Natur entspricht.
Ja, ich bin so viel weiter gekommen in den letzten zwei Jahren. Sehr gereift, finanziell unabhängig. Manchmal braucht man solche einschneidenden Momente und Eichpunkte zum Vergleich, denn es ist schwer, seinen Fortschritt im Alltag so richtig mitzuverfolgen. Wow, das habe ich mir selbst erkämpft und erarbeitet, mit meinen beiden Händen (und Gehirn)!
Dennoch blicke ich in Dankbarkeit auf diese Zeit zurück, denn sie war bereits Puzzleteil meiner Aufwärtsspirale und das Arbeiten hier draußen war so viel besser, als den ganzen Sommer in einem Labor eingesperrt zu sein und hat so viel Gutes initiiert, oder sagen wir mal, so viele neue Ressourcen bereitgestellt, die ich dankbar und eifrig genutzt habe.
Dann die Gesichter von Bakhtawar und Peter. Sie sind gekommen, um uns abzuholen. Ich bin zurück, alles irgendwie unwirklich und total knallhart, „natürlich ist es so, warum denn auch nicht? Du bist so weit, dass du mit diesem Körper gehen kannst, wo immer du hinwillst, wann du willst, nichts hält dich mehr“. Gar kein großes Denken an Vergangenheit und Zukunft mehr. Ich bin hier, ich lebe, es ist alles gut, wie es ist.
Das Coaching über Skype ist wirklich schön von hier, macht mir und meinen Klienten große Freude.
Die ersten Tage sind geprägt von einem großen Hunger, alle lieben Menschen und schönen Plätze nochmal sehen und alles nachholen, was ich damals aus logistischen Gründen und der Infektion am Ende nicht geschafft habe.
Obwohl ich direkt nach meiner Periode bin, spiegelt sich dies in einem großen Kalorien- und vor allem Proteinbedarf wider, was ich ansonsten nur noch direkt vor meiner Periode und in sehr stress- und arbeitsreichen Zeiten habe. Ja, und ich muss knallhart sagen, so, wie wir in aller Regel „Urlaub“ machen, wäre es für viele tatsächlich zuhause stressfreier. „Dank“ Internet fällt selbst der Aspekt mit dem „Abstand von den Problemen von Zuhause und Kopf freikriegen“ weg. Wenn man nicht bewusst darauf achtet. Bewusstwerdung ist der erste Schritt.
Jetzt nach zwei Wochen (und einer wundervollen, intensiven Meditationssitzung, DANKE Heike! Und überhaupt an jeden Einzelnen, solltet ihr das lesen, ihr wisst, dass ihr gemeint seid, Worte können es nicht ausdrücken) habe ich endlich das Gefühl, angekommen zu sein, nicht nur an diesem Ort, sondern wieder mit mir selbst synchron zu sein. Ich bin einfach zufrieden, bräuchte das bunte Treiben von Faial gar nicht mal, könnte hier und jetzt einfach glücklich und bei mir selbst sein, doch für zuhause wäre es noch zu früh für mich, begreife ich doch jetzt erst so richtig, wie viel ich wieder geackert habe in den letzten Monaten. Immer noch genügend Angst, nicht gut genug zu sein, so viel nachholen zu müssen aus den verlorenen Krankheitsjahren. Bin ich selbst unzufrieden mit mir, weil ich zu unzufrieden mit mir bin? *lach*
Schon so viel gestärkter durch das frische Gemüse, gewachsen in guter, reichhaltiger Vulkanerde, die sattgelbe azorische Butter aus Weidehaltung, der frische Fisch aus sauberem Wasser (und einmal von Patrick gefangene Seeigel, nicht übel!), die liebevolle Kochkunst von Baktawar, die guten Gespräche, schönen Eindrücke, das Wandern, meine „Batterie“ – das Meer, die ganze Zeit mit der Erde verbunden zu sein, statt fern oben in einem mehrstöckigen Haus, die einfache Arbeit mit meinen beiden Händen im Garten und Sónias Spirulinafarm und das direkte Gewahrwerden der Resultate, schaue ich nun voller Erwartung den nächsten zweieinhalb Wochen entgegen.
Natürlich ist auch hier nicht alles perfekt, gibt es blühende Gräser, Schimmel, lärmende Hunde, hupende Nachbarn… doch wo ist es das schon? Wenn ich mit mir selber nicht im Reinen bin, werde ich es auch am Ende der Welt nicht sein. Wenn ich in mir selbst Frieden gefunden habe, kann ich ihn, wo immer ich bin, an andere weitergeben.
Machts gut, ich muss meinen Rucksack packen und dann geht’s an den Fähranleger.
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