Denver, Colorado 2017 Teil 5 (Longmont)

30.5. – 14.6.17

Lies hier über die erste Etappe meiner Reise

Mich hats erwischt! Ich wache auf mit Hals- und Gliederschmerzen und fühle mich einfach nur fürchterlich. Wieder typisch ich. Ich habe mich wieder an meine Grenzen und darüber hinaus gepusht und nun zieht mein Körper knallhart die Reißleine. Ich konnte diese Reaktion in den letzten Jahren bei mir auch sehr zuverlässig als Folge vom (auch nur geringen) Konsum von Milchprotein identifizieren, immer mit einer Verzögerung von einem bis wenigen Tagen. Und ich hatte ja schon stark vermutet, bereits in Island Käse erwischt zu haben, dann noch die kalte Klimaanlage auf der langen Busfahrt zurück von Boulder gestern…

Im Endeffekt liege ich den gesamten Tag flach und schlafe die meiste Zeit in meinem Basement-Zimmer meiner Airbnb-Hosts. Ich bin am Ende meiner Kräfte und einfach nur froh, heute mal überhaupt nicht vor die Tür zu müssen. Nur das ewige Getrappel und Getobe von Brandons und Libbys 2-jähriger Tochter direkt über mir in diesem hellhörigen Haus ist für mich kaum mehr zu ertragen.

Abends bitte ich meine Gastgeber Brandon und Libby um Erlaubnis, ihre Küche benutzen zu dürfen. Ich war gestern Abend noch einkaufen in einem gut sortierten Supermarkt und frittiere mir nun Kochbananen, die man hier überall bekommt, in Kokosöl und esse dazu bio-Truthahnbrust und selbstgeschnittene Karotten- und Jicama-Sticks. Jicama (Yambohne) ist eine Wurzelknolle aus Mexiko, die wie eine Mischung aus Kohlrabi und Apfel schmeckt, und auf die ich mich schon sehr gefreut hatte hier in den USA. Jicama ist zudem überdurchschnittlich reich am Masterantioxidanz Glutathion (entgiftend, entzündungssenkend)!

Brandon plant, morgen zum Kajaken in die Rocky Mountains nahe Boulder zu fahren und mich mitzunehmen! Wir hatten vor ein paar Tagen bereits darüber gesprochen, weswegen ich mir meinen neuen Airbnb-Platz in Longmont, nördlich von Boulder, gebucht hatte, denn hier muss ich morgen raus, es kommen neue Gäste. Zum ersten Mal alleine eine Unterkunft zu buchen stresst mich enorm und macht mir Angst, aber die Zusicherung Brandons, dass er mich dann auf dem Rückweg vom Kajaken nach Longmont fährt, lässt mir einen Stein vom Herzen fallen. Ich kann das und ich werde daran nur wachsen! Ich hoffe nur, mir geht es morgen wenigstens ein bisschen besser…

Heute ist ein wunderschöner sonniger Tag und ich fahre zusammen mit Brandon etwa eine Stunde zu und durch die Rocky Mountains zu einem wunderschönen, klaren Bergsee, der so weitläufig und verzweigt ist, dass man sein Ende nichtmal erahnen kann. Ich bin nicht mehr so platt, aber noch sehr verschleimt und fühle mich insgesamt einfach verschlackt und noch leicht fiebrig, aber ich WILL-DAS-HIER! Das ist wie ein besonderes Abenteuer für mich, ich bin noch nie Kajak gefahren, und dann auch noch in so einer atemberaubenden Landschaft!

Ich im Kajak

So über das glitzernde, sanft schaukelnde Wasser zu gleiten ist unfassbar entspannend und aufregend zugleich. In diesem Moment kann ich einfach nur sein. Brandon und ich vertiefen und schnell in tiefe Diskussionen über das politische-, wirtschaftliche und das Bildungssystem, das Thema Generation Y, den heutigen Lebensstil und wie man neue kreative Antworten für alte Probleme finden kann. Wir entdecken familiär gesehen viele Gemeinsamkeiten (gut, aber an eine 11 köpfige Mormonenfamilie komme ich mit meiner Familie dann nicht ran…).

Die Zeit vergeht wie im Fluge und dann fährt mich Brandon noch den (länger als angenommenen!) ganzen Weg nach Longmont zu meiner neuen Gastgeberin Roberta und ihrem Kater Oscar, wo Brandon dann noch kurzerhand frischen Salat aus Robertas eigenem Garten geschenkt bekommt, von dem ich mich auch in den kommenden Tagen in Hülle und Fülle bedienen kann.

Roberta ist Massagetherapeutin und auch sehr gesundheitsbewusst, leider allerdings noch in dieser fettarm-Mentalität und Margarine-statt-Butter. Sie nimmt mich erst einmal mit zu dem Schrebergarten der Kirche, den sie ebenfalls betreut, wo ich mir auch etwas an Gemüse abmachen darf und dann fahren wir zusammen zum Supermarkt, wo ich mich für die nächsten Tage eindecken kann. Hier steht mir auch ihre Küche frei zur Verfügung und Roberta leiht mir sogar ihr Fahrrad!

Die nächsten Tage verbringe ich sehr ruhig und entspannt mit Lesen und Schreiben in Robertas wundervollem, gemütlichen Wintergarten, außerdem mit Radtouren um den Lake McIntosh, der grad um die Ecke liegt und durch die Feuchtbiotope von Hygiene. Mir fällt in meinem Schlafzimmer ein Buch von Eckhart Tolle in die Hände, das ich regelrecht verschlinge. Roberta und ihr anderer Gast, Bob, sind sehr ruhige, angenehme Menschen, die bei Bedarf aber zur Verfügung stehen für gute, fundierte Gespräche. Roberta ist eine ältere Dame, die ihre eigene Lebensgeschichte hat mit Scheidung und Parkinsonerkrankung, aber mit beiden Beinen fest im Leben steht und man merkt, dass sie für sich selbst sorgen kann und einem jegliche Freiräume lässt ohne irgendwelche unangemessenen Ansprüche an einen oder invasive Neugier, man aber jederzeit super mit ihr kommunizieren kann, wenn man das möchte. Ein älterer Mensch mit Lebenserfahrung, der zugleich sogar richtig erwachsen ist. Eine beeindruckende Frau, die ich gerne näher kennen gelernt hätte.

Doch irgendwie brauche ich jetzt die Stille. Roberta, Bob und ich leben in stiller Harmonie zusammen für ein paar Tage wie in einem Retreat. Es ist so eine vollkommene Stille nach dem Sturm der letzten anderthalb Wochen. Meine Verschleimheit verlässt mich nicht, bleibt mir auch nach meiner Heimreise noch ein paar Tage erhalten, mein Körper will jetzt den kompletten Stopp. Frieden. Regeneration. Und Roberta sieht es. Ich bin dankbar, am Ende noch an diesen Ort des Friedens gelangt zu sein. Hier kann ich sogar ohne Ohrenstöpsel schlafen. Abends klingen die sanften Töne von Robertas Klavierspiel und Gesang durchs Haus.

Bei einem frühmorgendlichem Spaziergang um den Lake McIntosh, um ein paar Fotos zu schießen, begegnet mir Bev. Eine alte Dame mit jungem Geist, langem, wallendem weißen Haar und einem Wanderstab auf den sich sich leicht zitternd stützt, an den Bänder und Federn gebunden sind, mit dicker Sonnenbrille auf den Augen und einem strahlenden Lächeln. Sie erkennt sofort, dass ich nicht von hier bin und wir gehen ein Stück zusammen und unterhalten uns über den Zustand unserer Welt. Zum Abschied fragt Bev, ob sie mich umarmen darf und wir verabschieden uns mit einer warmen und innigen Umarmung und einem ,Namaste´.

Bei unseren Gesprächen beim Kajaken erzählte mir Brandon von der Besonderheit der Menschen hier in der Gegend, dass du völlig Fremden begegnen kannst und sie für ein paar Tage wie deine besten Freunde sein können, und wenn sich die Wege wieder trennen, verbleiben keine Ansprüche, kein Gestalke und In-Kontakt-Bleiben-Müssen über Facebook und WhatsApp, und wenn man sich eines Tages wieder sieht, kann diese Freundschaft wieder von neuem Aufblühen. Überhaupt ist dies eine Gegend, in der die Menschen sehr umeinander bemüht und hilfsbereit sind und sich um andere sorgen, was ich auch schon am eigenen Leib erfahren durfte. Es steckt den Menschen noch tief drin, da die Gegend lange Zeit auf sich gestellt war und die Menschen auf gegenseitige Unterstützung angewiesen waren, und sie immer noch Reisenden entgegenbringen. Ich verstehe jetzt, was Brandon gemeint hatte und sehe die Schönheit in diesem Konzept. Alles ist im Fluss, manche Menschen verlassen einen, neue werden kommen und ihren Platz einnehmen. Früher konnte ich mit Abschied nicht umgehen, es hat mich traumatisiert und zerrissen. Doch heute ist an diese Stelle ein tiefes Vertrauen in mich selbst und in das Leben getreten.

Die einzige Aufregung, die ich mir an meinem letzten Tag noch gönne, ist die halbstündige Fahrradtour zum Natural Grocers, Vitamin Cottage, ein echtes Paradies für Biohacker und Healthnuts!^^

An meinem Abreisetag bringt Roberta mich mit meinem Gepäck noch zur Fernbushaltestelle und wir verabschieden uns wie alte Freundinnen, deren Seelen sich kennen. Der Busfahrer ist sehr hilfsbereit mit meinem Koffer und mit Richtungsanweisungen, die anderthalbstündige Fahrt mit Bus und Bahn zum Flughafen Denver verläuft ohne Zwischenfälle und ich habe mehr als genug Vorräte im Natural Grocers besorgt. Der Flug über Nacht nach Island ist sehr unangenehm von meinem Sitzplatz her und auch jetzt lassen sie, wie auf dem Hinflug in die USA (wo es ja noch passend war, um den Tag zu verlängern) die grellblauen LEDs brennen, die das Flugzeug anscheinend mitten in der sowieso schon kurzen Nacht in eine melatoninfreie Umgebung verwandeln sollen! Grrr! Hier hilft auch meine Schlafmaske nicht viel. Ich bin enttäuscht von diesem Mangel an Wissen über biozirkadiane Rhythmen, gerade in so einer Branche!

Zuhause brauche ich eine ganze Woche (trotz aller Biohackermaßnahmen), um meinen zirkadianen, und noch länger um meinen seelischen Rhythmus wieder zu finden und auch meine Haut blüht zuhause in dem für mich weniger günstigen Klima erstmal wieder auf und seit Jahren bekomme ich das erste Mal wieder Heuschnupfen. Dort in Colorado war mein „Entzündungsfass“ deutlich voluminöser und ich habe natürlich bis an die Grenzen des Verträglichen gegessen, doch zuhause sind die Grenzen mit einem Schlag wieder enger, bzw. sind mir durch Pollen, Schimmelpilze und Alltagsstress quasi Ziegelsteine hineingelegt und mein Histaminfass läuft über. Doch ich nehme viele gute Eindrücke und wertvolle Erinnerungen mit in meinen Alltag, die nicht vergessen gehen, sondern hier ihren neuen Wert entfalten sollen.

It´s not so much about what we learn, but what we experience. ~Bev aus Longmont

 

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