Gastbeitrag: Gelassenheit beginnt im Kopf – Teil II

Gastbeitrag von meiner Mama, Gabi Rieß. Ihre Erkenntnisse lassen sich wundervoll auf den Bereich der Gesundheit übertragen. Ich erkenne immer mehr, dass Krankheit und unangenehme Symptome nicht etwas sein müssen, das bekämpft, vermieden und beseitigt werden muss, sondern auch etwas sein kann, das einen innehalten lässt und vielleicht dazu zwingt, mal Inventur in seinem Leben zu betreiben. Doch wie erreiche ich dieses Stillewerden, wie erreiche ich die nötige Gelassenheit? Fange hier mit Teil I an.

 

Ich stelle mich der Realität

Kann man bei diesen täglichen, ständig wechselnden Herausforderungen immer gelassen bleiben? Nein! Man kann nicht! Man muss! Muss man?

Nein, natürlich nicht. Wir beweisen uns täglich, dass es viel leichter ist, das innere Gleichgewicht zu verlieren. Es reißt uns anscheinend immer wieder fort. So kommt es einem zumindest vor.

  • Gelassenheit in schwierigen Zeiten zu bewahren ist eine echte Herausforderung
  • Widrige Ereignisse als „sportliches“ Training begreifen?
  • Durch fortwährendes (bewusstes) Training wird man stärker!
  • Unsere Gedanken können uns Stress aber genauso gut auch Frieden bereiten.

Leiden ist kein Schicksal, keine Selbstverständlichkeit mehr, sondern die Folge von Denk- und Verhaltensweisen. Eine Verkettung von Ursache und Wirkung.

  • Genau das kann wieder zum Problem werden, denn diese Tatsache wirft für manch einen die Schuldfrage auf: „Ich soll an meinem Leiden selbst schuld sein?“

Aber die Schuldfrage ist überhaupt nicht relevant, denn sie führt nicht weiter.

Die Tatsache, ob jemand und wer schuld ist, führt zu keiner Lösung ist daher uninteressant, ist nur unnötige Zeitverschwendung und kreisen um einen „Fixstern“.

Solange ich das Verhältnis „Ursache-Wirkung“ leugne, befinde ich mich auf einer zeit- und kräfteraubenden Umlaufbahn um ein Problem, das manchmal nur in meiner Vorstellung besteht, indem ich ständig nach einem Schuldigen Ausschau halte, statt mich meiner Verantwortung, meinem Anteil bei der Sache zu stellen.

Niemand ist gezwungen, den Hinweis auf Tatsachen als Vorwurf aufzufassen. Es gibt Menschen, die sind gelassen und wer es nicht ist, der kann es lernen, muss es aber nicht und muss sich auch nicht schuldig fühlen, wenn er es nicht lernt (lernen will). Kein Grund sich aufzuregen, oder? Kann man bei dieser Frage noch gelassen bleiben?

Es stellt sich die Frage: „Willst du gelassen sein?

Wie kann ich meine innere Einstellung ändern? Wie dem scheinbar Unausweichlichen gelassen begegnen?

Dazu lohnt es sich, uns Menschen aus der Geschichte anzusehen, die in ähnlicher Weise gefangen waren.

Epiktet, geb. 50 n. Chr., der Begründer der Philosophie der Stoiker, kam als Sklave nach Rom, wurde später freigelassen, gründete eine Schule und verkündete seine Lehre.

Seneca, ca. 50 Jahre vor Epiktet geboren, einige Jahre Erzieher und Lehrer von Kaiser Nero, dieser zwang ihn zum Selbstmord, weil er die Machenschaften des Kaisers zu verhindern suchte. Man berichtet, dass er es mit großer Gelassenheit hinter sich brachte.

Ähnlich Sokrates, der, obwohl seine Freunde und Anhänger ihn drängten, sich zu wehren und sein Recht einzufordern, das Todesurteil annahm und nachdem er die falschen Anklagen seiner Kritiker widerlegt hatte, den Schirlingsbecher nahm, weil er seinen Überzeugungen treu bleiben wollte.

Marc Aurel (121-180), röm. Kaiser und erfolgreicher Feldherr. Er litt unter Depressionen, kam anscheinend mit seiner Rolle als Herrscher nicht zurecht und übte sich in „Selbstbetrachtungen“, um so seiner pessimistischen Lebenseinstellung entgegenzutreten. Offenbar mit Erfolg.

Das bekannteste Beispiel dürfte Siddharta Gautama sein, besser bekannt unter dem Namen Buddha. Als Prinz in eine reiche und einflussreiche Familie hineingeboren, lebte er ca. 500 v. Chr. Er selbst war keiner äußeren Not ausgesetzt, reagierte aber anscheinend auf das Leid, das Altern und Sterben um ihn herum mit Trübsinn. Er begann nach einem Weg zu suchen, um sein inneres Gleichgewicht wieder zu finden, da er an den äußeren Umständen nichts ändern konnte. Seine Versuche mit Yoga, Meditation und strenger Askese brachten ihn nicht weiter. Erst die Erkenntnis, „nur verändertes Denken bewirkt verändertes Verhalten“ wurde zum Schlüssel, um seine Ängste vor Leid und Tod zu beseitigen.

Es gelang ihm eine innere Einstellung zu entwickeln, durch die ihn nichts mehr ernsthaft aus der Fassung bringen konnte, indem er aufmerksam gegenüber seinem Körper, seinen Gedanken, Gefühlen und seiner Umgebung wurde und darauf achtete, was ihm guttat und was nicht.

Bei diesen Beobachtungen wurde ihm vermutlich der Zusammenhang zwischen seinen Gedanken und Gefühlen bewusst und er lernte seinen aufkommenden Ärger, seine Ängste und das Gefühl der Hoffnungslosigkeit zu beenden und so innerlich und äußerlich zur Ruhe zu kommen. Er befreite sich von der Gewalt der Gefühle, einem unausweichlichen Schicksal und Leiden ausgeliefert zu sein, durch die Macht der Gedanken und fand so seinen Frieden. Die Erkenntnis, dass das Leben keine Krankheit ist und Episoden von Unglücklichsein dazu gehören, kann sehr befreiend sein.

 

In der Bibel wird von Jesus berichtet, wie er einen Gelähmten fragt: „Willst du geheilt werden?“ Statt einem klaren Ja bekommt Jesus lauter ausweichende Argumente, warum das nicht geht. Was für eine vertane Chance! Der Gelähmte hat Glück, denn Jesus lässt in dieser Situation nicht locker, er schaut dem Gelähmten fest in die Augen und sagt: „Steh auf!“ Diesmal klappt das Umdenken, der Gelähmte stellt sich auf seine Füße und geht los.

Wie oft gleichen wir dem Gelähmten, unfähig aufzustehen, obwohl mir jemand die Hand reicht, eine Tür öffnet, mich ermutigt. Den Blick ausschließlich auf meine „Behinderung“ gerichtet, bin ich unfähig das Hilfsangebot wahrzunehmen.

Nicht die Umstände, die scheinbare Ausweglosigkeit, nicht der unangenehme Mensch, die nervenden Kinder sind das Problem, sondern meine Gedanken, meine Einstellung darüber.

Ja, aber!

  • Genau hier fängt es an! Solange ich hinter dieser Blockade bleibe, mich der Möglichkeit nicht stelle, dass dies eine, wenn auch unbequeme, Tatsache ist, kann sich nichts ändern, kreise ich um den Fixstern (ich habe recht, die Anderen müssen…), rolle ich weiter die riesige Kugel den Berg hinauf, lasse für einen Moment los und das Ding rollt wieder an den ursprünglichen Platz zurück. Will ich das?

Ich übernehme die Verantwortung für mein Verhalten. Auch wenn ich noch Fehler mache, strebe ich dennoch die Veränderung an (Hinfallen, Aufstehen, Krone richten, Weiter Gehen).

Willst du gesund werden?

Ich will gesund werden, ich will gesund sein! Wie bei einer OP kann es schmerzhaft sein, das „Geschwür“ zu entfernen, der Wahrheit ins Gesicht zu schauen, die eigenen Grenzen zu erkennen, zu akzeptieren, dass sich manches nicht ändern lässt aber auch spannend, neue Wege auszuprobieren, umzudenken, etwas Ungewohntes zu wagen. Das Leben ist bunt, grau ist eine Täuschung. Manchmal kommt ganz unerwartet neues Licht und Farbe in unser Leben aber ich muss die Tür aufmachen. Das Leben zurück erobern, Entscheidungen treffen, mein Ziel ins Auge fassen, mich nicht ablenken lassen sondern bewusst auf das Ziel ausgerichtet. Mit Warten und Wünschen, dass etwas Gutes passiert, ohne einen Finger zu rühren, erreiche ich nichts.

Ich kann meine Zeit verschwenden, durch Ärger, Selbstmitleid, Sorgen oder investieren, indem ich mich aufmache, dazu gehört auch, mir Zeit nehmen, mir selbst und anderen Gutes zu tun, entspannen, Spaß haben. Wer seine Gefühle anbetet, keine Willenskraft aufbringt, sich treiben lässt, dreht sich im Kreis, kommt nicht vorwärts.

Die meisten emotionalen Störungen vergehen von selbst, da der Mensch über enorme Selbstheilungs- und Regenerationsfähigkeiten verfügt.

Wenn jeder wie Buddha (der Erwachte, Erleuchtete), wie er von seinen Anhängern genannt wird, ganz bewusst wahrnimmt was sich in seinen Gedanken und Gefühlen abspielt, es wahrheitsgemäß benennt und sich damit auseinandersetzt, hat er die Chance wie „Tathagata“, wie er sich selbst nannte (einer, der den Weg gegangen ist), diese Einsicht zu erlangen und so seinen inneren Frieden zu finden und gelassen zu reagieren:

„Er weiß, wenn in ihm Gier, Hass und Zweifel vorhanden sind. Er ist sich bewusst, wenn in ihm weder Gier, noch Hass, noch Zweifel vorhanden sind. Wie es zur Entstehung dieser Hindernisse kommt, auch das weiß er. Wie es zum Aufgeben und nicht wieder zur Entstehung dieser Hindernisse kommt, auch das weiß er.“

Oder wie Jesus sagt:

Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen. ~Johannes 8 Vers 32


mamaportraitDas Leben ist unberechenbar und kostbar. Jeder Tag eine Herausforderung. Ich treffe die Entscheidung, die Herausforderung anzunehmen oder den Kopf in den Sand zu stecken.

Vor dieser Entscheidung stand ich, als ich mit der Diagnose Brustkrebs konfrontiert wurde. Von heute auf morgen herausgerissen aus einem aktiven Leben.

Ich bin von Beruf Gymnastiklehrerin, hatte mir durch verschiedene Zusatzausbildungen als Rückenschullehrerin, Entspannungstrainerin, Nordic Walking Coach sowie Tanzpädagogin eine Selbständigkeit aufgebaut. Sowie Ausbildung als Lebensberaterin mit Schwerpunkt Seelsorge, was ich vor allem ehrenamtlich in unserer Gemeinde ausübte.

Was nun? Nach dem ersten Schock, die Entscheidung, ich werde alles tun, um mein kostbares Leben so gut es geht zu behalten. Es war ein Weg durch die Hölle, mit OP, Diagnose: „aggressivste Krebsform, genetische Disposition“ und ganz klar: Chemo, Bestrahlung=das volle Programm. Ich nahm die Herausforderung an und habe gewonnen: bisher 3 kostbare Jahre, Anfangs voller Angst, Schmerz, Kampf, Erschöpfung – dann immer mehr Hoffnung, tiefer Friede, Blick auf die Ewigkeit und die Tiefe und Weite des uns zur Verfügung gestellten Lebens-Raums. Menschen und Gebete, die mich begleitet haben, meine Tochter Dorothee, die mir viele praktische Anregungen gab und gibt und mir durch ihre eigene Geschichte gezeigt hat, was alles möglich ist, dem der glaubt und vertraut und mutig der Herausforderung der Vielfältigkeit des Lebens begegnet. Ich darf hinfallen, aber sollte nicht liegen bleiben, sondern immer wieder aufstehen, auch wenn die Knie zittern. Das tue ich Tag für Tag und gewinne. ~Gabi Rieß


Auszüge aus dem Buch von Thomas Hohensee „Gelassenheit beginnt im Kopf“

ergänzt mit einigen persönlichen Erfahrungen

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